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22.04.2018
Themenbeitrag

Lieben lernen


Bild von: MagicZyks


Lernen ist gut – immer. Kaum ein Verb ist ähnlich positiv besetzt wie das Lernen. Schon in der Schule bringt man uns bei, dass lernen wichtig ist und über unseren Erfolg oder Misserfolg im Leben entscheidet.

Während unsere Eltern noch annahmen, dass das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ viel Wahres enthält, so ist heute „Lebenslanges lernen“ das Credo unserer Zeit.

Da verwundert es nicht, dass selbsternannte Lehrer wie Pilze aus dem Boden sprießen. Gibt es doch ständig etwas dazu zu lernen. Natürlich auch beim BDSM. Workshops für Spanker, Fesselfreunde und Hobby-Gynäkologen kennt man in der Szene schon lange und eine genauere Kenntnis von der Anatomie des Gegenübers, bei der Verwendung von Rohrstock, Seil und Katheter, ist in vielen Fällen nicht nur nützlich, sondern auch unabdingbar.

Wie steht es aber mit den ganzen Lernangeboten, die sich um soziale Kompetenzen gebildet haben?

„Soft skills (In der Literatur werden soft skills oft eingedeutscht als „weiche“ Fähigkeiten und Fertigkeiten bezeichnet, die neben der sozialen Kompetenz im engeren Sinne auch Neigungen, Interessen und andere Persönlichkeitsmerkmale wie Motivation, Empathie, Frustrations-toleranz u. ä. einschließen. „Weich“ bedeutet dabei außerdem, dass diese Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht mit gleicher Verlässlichkeit erfasst werden können wie die „Hard Skills“ (Fachkompetenz).“ Wikipedia


Aus dem Berufsleben kennt man diese soft skills schon lange, jetzt erobern sie zunehmend auch private und sogar hochintime Bereiche des Lebens.

Wir finden in den Schlagzeilen, der Sklavenzentrale sowie auf jeder größeren Party Offerten zur Optimierung der sozialen Kompetenzen. Femdom-Lehrgänge zur Intensivierung der weiblich dominanten Erscheinung. Maledom-Seminare, die helfen möchten, Körpersprache und Auftreten eines dominanten Mannes zu erlernen.

Sprachkurse für Tops, die vermitteln, welche rhetorischen Kniffe ein Top beherrschen sollte, um entschlossen und zwingend auf das andere Geschlecht zu wirken. Dies alles scheint nötig, damit man seine Neigung versiert und frei von Unsicherheiten ausleben kann.

Auch für den submissiven Part gibt es viel zu lernen: wie man den Herrn oder die Herrin richtig anspricht als Beispiel oder wie man sitzt, kniet oder geht, um seine devote Persönlichkeit zu unterstreichen bis hin zu den perfekten Verwöhntechniken. Auch Charisma- und Aura-Seminare für BDSMer sind im Netz zu finden.

Gerade die „Soft-skills“-Workshops lassen mich des öfteren Schmunzeln, weil ich zu der Ansicht tendiere, dass z.B. ein Workshop über dominantes Auftreten nicht seriös ist. Mir fällt schwer zu glauben, dass man Dominanz mit ein paar Techniken herstellen kann und wenn doch, so ist es eher eine einstudierte Dominanz, ein Schauspiel.

Andererseits halte ich durchaus für möglich, dass man in einem Bondage-Workshop jene Techniken erlernen kann, die einen zu einem guten Fessler machen. Ich bin nicht der Ansicht, dass ein Rigger in einem stecken muss, und alles lernen nichts hilft, wenn man kein „naturveranlagter“ Rigger ist. Warum also soll man nicht durch einen Dom-Kurs ein noch überzeugenderer Dom werden. So der Kursleiter kein Scharlatan ist?

Meine ablehnende Haltung gegenüber allen Kursen, die versprechen, mich zu einem besseren Liebhaber, überzeugenderen Dom, sympathischeren Mensch usw. zu machen, entspringt der Vermutung, dass diese Lernschulen der Wirtschaftswelt entliehen sind. Einem System wo ich mich optimiere und qualifiziere, um eine verkaufbare Leistung zu erbringen. Ziel ist es meine so erlangte Fähigkeit als Handelsware am Markt anzubieten.

Im Berufsleben macht mir das keine Bauchschmerzen, weil ich mir sage, ich verkaufe nicht mich, sondern meine Leistung.

Im privaten Rahmen jedoch sieht es für mich anders aus. Hier biete ich mich als Person an. Eben darum möchte ich nicht die Maßstäbe der Wirtschaftswelt ansetzen und mich als Produkt „Liebhaber“ oder wahlweise „Profi-Dom“ der Subbiewelt anbieten. Ich möchte bei einem Date, kein Data-Sheet mit den wichtigsten Eckdaten meiner Vorzüge vorlegen, um im Verkaufsgespräch zu überzeugen. Im privaten (darum so denke ich, unterscheidet der Sprachgebrauch auch privat und beruflich) möchte ich zumindest glauben, dass andere Spielregeln und Gesetze gelten als in der Marktwirtschaft. In diesem Gefüge würde ich gern ungeschult und ohne ein Tantra-Abzeichen in Gold dennoch wertgeschätzt werden. Eben um meinetwillen, wobei man noch klären müsste, was jeden einzelnen Menschen im Kern ausmacht, entkleidet von tradierten Konventionsmustern.

Vielleicht lässt sich diese Grenze, wie ich versuche sie zu ziehen, aber auch nicht halten und ihr findet mich schon nächste Woche im Aufbaukurs für Zungenküsse. Wer weiß. :-)


Text: M.Zyks
Erstveröffentlichung: Schlagzeilen, April 2016

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